Der Psychotherapeut von Marilyn Monroe
Völlig überraschend erfahre ich, daß ich mit den Bestrahlungen noch längst nicht fertig bin, sondern nochmal 14 Tage bestrahlt werden muß. Allerdings ist mein körperlicher Zustand so miserabel, daß ich überhaupt nicht mehr in der Lage bin, mich um irgendetwas zu kümmern. Kaum selbst laufen oder mich anziehen kann ich mehr, und anscheinend auch keine Entscheidungen treffen. Meine Mutter übernimmt die Betreuung für mich, eine amtliche, die alle Entscheidungsfragen umfaßt, und spricht sich mit meinem Bruder, der inzwischen Heilpraktiker geworden ist, ab. In dessen Nähe befindet sich ein Psychotherapeut, welcher einen eigenen Fahrdienst hat. Das trifft sich gut, denn für die Bestrahlungen brauche ich einen neuen Fahrdienst, da ja der Einsatz des früheren Dienstes bereits beendet ist. Man entscheidet also, es zur Aufgabe des Psychotherapeuten zu machen, mich durch die restlichen Behandlungen zu bringen. Dazu werde ich in eine Wohnung gebracht, die sich in der Nähe des Psychotherapeuten befindet und ebenfalls zu seiner Praxis gehört, wahrscheinlich für besondere Patienten. Regelmäßig kommt hier der beim Arzt angestellte Mann vom Fahrdienst, um mich abzuholen und zurückzubringen. Es ist ein Bär von einem Mann, italienisches Aussehen, mit vielen Kettchen am Arm und einer fiesen Visage. Irgendwoher weiß ich, daß der Psychotherapeut früher Marilyn Monroe behandelt hat. Es wundert mich zwar, daß er immer noch praktiziert, denn eigentlich müßte er dann ziemlich alt sein, aber vielleicht war er damals noch sehr jung. Und er ist mir einschließlich seiner Leute vom "Fahrdienst" sehr suspekt, denn es scheint mir, als würden die alle zur Mafia gehören. Das aber nicht nur, weil sie mit ihren "'Mafiagesichtern' so aussehen, sondern es geschehen außerdem merkwürdige Sachen. Da es die Wohnung des Psychotherapeuten ist, hat er einen Schlüssel dafür, und oft merke ich nachts, daß ich von jemandem wachgemacht werde, ohne allerdings richtig wach zu werden, da ich mit Schlafmitteln vollgestopft bin, die ich anscheinend von ihnen verabreicht bekomme. So orientierungslos und noch fast bewußtlos gibt man mir einige Papiere, die ich völlig im Nebel unterschreibe, ohne daß ich mich hinterher genau erinnern kann, was eigentlich vorgefallen ist und was ich getan habe. Meiner Mutter vertraue ich zwar noch, aber ich finde es seltsam, daß sie mich so einem Arzt anvertraut. Merkt sie davon nichts? Jedenfalls finde ich es tröstlich, daß es ja nur für 14 Tage sein soll und sie mich hinterher sicher wieder weglassen. Irgendwo in der Wohnung finde ich schließlich ein Videoband, welches ich mir anschaue. Es zeigt die Großaufnahme des Kopfes einer blonden Frau, so als wäre es ein Interview. Erst meine ich, die Frau nicht zu kennen, doch dann dämmert mir, daß es Marilyn Monroe sein könnte, obwohl es nicht das Gesicht ist, das ich von ihr kenne. Es ist ohne jede Schminke - abgehärmt, mit trockenen Hautschüppchen überzogen und leicht gealtert. Fältchen ziehen sich um die Augen, eine große Falte zieht sich mitten über die Stirn, und aus dem blassen, leicht geöffneten Mund schauen bräunlich verfärbte Zähne hervor. Nur die großen Augen und die platinblonden Haare erinnern an Marilyn Monroe.
Träume von Krankheit und Heilung - Sonntag, 16. Oktober 2011, 15:37
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